Das folgende Interview von Lea Sommerhäuser erscheint im Original bei IT-Zoom: The World of Technology.
Laut Kai Hunold, Geschäftsführer der Novedas Consulting GmbH, ist „Industrie 4.0“ in aller Munde, „aber sehr wenige setzen sich ernsthaft damit auseinander. Und wenn sie dies tun, werden sie feststellen, es wird zukünftig kein Hype, sondern ein Hurrikan“. Die Frage werde eines Tages lauten: Ist man Teil der Kraft oder ihr ausgeliefert?
ITM: Herr Hunold, inwieweit sind digitalisierte, automatisierte und vernetzte Prozesse bereits in mittelständischen Betrieben verankert?
Kai Hunold: Nach unserer Erfahrung sind einzelne Bereiche z.B. in der Produktion oder Logistik, teil- oder vollautomatisiert. Die digitale Verarbeitung ist gegenüber der manuellen oder analogen Bearbeitung seit Jahren auf dem Vormarsch, aber von einer Vernetzung oder Verankerung würde ich zum heutigen Zeitpunkt nicht sprechen. Es gibt teils sicherlich vernetzte Prozesse, aber auch hier sehen wir eher Einzelfälle.
Ist es nicht so, dass die Prozesse in den Produktionen schon recht lange automatisiert und vernetzt sind und dieser Tage aber als „Industrie 4.0“ gehypt werden?
Da wir im Laufe unserer mehr als 20 Jahre Beratung ursprünglich aus dem (IT-)Umfeld von Großunternehmen und Konzernen kommen, haben wir das zunächst auch angenommen. Wir stellten aber sehr schnell fest, dass hier sehr unterschiedliche Interpretationen von I-4.0 herrschen. Schwarz/weiß gesehen umschreibt die Frage den einen Standpunkt. Der andere sagt: Die nächste industrielle Revolution (also 4.0) beginnt gerade erst im Bewusstsein der beteiligten Unternehmer (ich sollte besser „betroffene Unternehmer“ sagen), speziell des Mittelstands. Das Wort ist in aller Munde, aber sehr wenige setzen sich ernsthaft damit auseinander. Und wenn sie dies tun, werden sie feststellen, es wird zukünftig kein Hype, sondern ein Hurrikan. Die Frage wird eines Tages sein: Ist man Teil der Kraft oder ihr ausgeliefert?
Welchen Stellenwert besitzt demnach Industrie-4.0-Beratung im Mittelstand? Inwieweit benötigen mittelständische Unternehmen überhaupt konkrete Beratung in diesem Bereich?
Der klassische deutsche Mittelständler überlegt: Läuft mein Geschäft aktuell gut? Wo kann ich bei meinen qualitativ hochwertigen Produkten („Made in Germany“) innovativer sein? Kann ich Standorte „near shoren“, um Produktionskosten zu sparen? Wir haben ganz wenige getroffen, die überlegen: Was muss ich tun, um später zu den überlebenden 4.0-Mittelständlern zu gehören? Wie kann ich schneller und flexibler auf sich ändernde Kunden- und Marktanforderungen reagieren und meine Opportunitätskosten reduzieren? Flexibilität und Time-To-Market sind Kernelemente von Industrie 4.0. Wenn man seinen Betrieb im wahrsten Sinne des Wortes „revolutionieren“ will, kann Erfahrung aus Unternehmen, die den Weg schon ein Stück weitergegangen sind, nicht schaden. Dann muss nur noch die mentale Hürde genommen werden, dass Berater, die dort hilfreich sein könnten, auch eine Investition (wert) sind.
Wie setzen Sie als IT-Berater hier an? Mit welchen Methoden und Tools lassen sich die Prozesse, Anlagen- und Automatisierungstechnik sowie IT- und Kommunikationskonzepte eines Mittelständlers in Hinblick auf „Industrie 4.0 und IoT“ analysieren und die technische Machbarkeit sowie Wirtschaftlichkeit bewerten?
Wir haben vor über zehn Jahren unseren 360-Grad-IT-Check entwickelt, mit dem wir erfolgreich bei großen und mittleren Unternehmen geholfen haben. Hieraus haben wir den 360-Grad-IT-Readiness-Check als ein ganzheitliches Instrument entwickelt, das Geschäftsführung oder IT-Leitung dabei unterstützt, die eigene Infrastruktur, Applikationslandschaft sowie Prozesse, Organisation und Steuerung der IT kritisch zu hinterfragen. Zielsetzung des 360-Grad-IT-Readiness-Checks sind als erster Schritt in die I-4.0-Welt die Identifikation von Stärken und Schwächen sowie die Feststellung bestehender Probleme und Risiken, insbesondere im Hinblick auf die Herausforderungen durch Industrie 4.0. Der 360-Grad-IT-Readiness-Check zeigt den Unternehmen des Weiteren Potentiale zur Leistungsverbesserung und Kostenoptimierung auf, die maßgeblich den Unternehmenserfolg beeinflussen können.
Worin bestehen die Herausforderungen bei der Entwicklung eines entsprechenden Konzepts sowie der Implementierungs-Roadmap?
Die größte Herausforderung ist das gemeinschaftliche Bekenntnis aller Akteure – nicht nur zu Beginn des Prozesses. Auf dieser Analyse basieren dann die nächsten Schritte: An welchen Stellen macht I-4.0 für das Unternehmen Sinn? Mit welchem Element der Zielprozessarchitektur soll die Implementierung beginnen? Und nicht zuletzt: Wie passt die Einführung von I-4.0 zur Kultur des Unternehmens?
Wann reicht ein „pauschales Konzept“, wann ist eine „individuelle Strategie“ nötig?
Wir sehen hier keine pauschalen Lösungen. Gerade der deutsche Mittelstand zeichnet sich im internationalen Vergleich durch seine Individualität, seine spezifischen Eigenschaften, Dienstleistungen und Produkte aus und ist damit sowohl national als auch weltweit erfolgreich. Wollte man nun über diese so auf verschiedene Weise erfolgreichen Unternehmen ein pauschales Konzept stülpen, so wäre genau diese Stärke gefährdet. Wir befürworten aus diesem Grund individuelle Konzepte und Strategien.
Mit welchem Aufwand (zeitlich, personell, finanziell) ist die schrittweise Einführung von Industrie-4.0-Prozessen in eine gewachsene IT-Umgebung verbunden?
Diese Frage lässt sich nicht pauschal beantworten. Jeder Schritt, jede Prozessumstellung fordert jeden darin Beteiligten. Je besser an einem Strang gezogen wird, desto einfacher. Das ganze ist kein Sprint, es ist ein Marathon mit vielen Etappen. Wenn alle daran glauben, dann minimiert man den Aufwand. Große Veränderungen bedürfen eines sehr guten (Change-)Managements.
Welche Rolle spielen die Mitarbeiter auf dieser „digitalen Reise“ eines Unternehmens?
Eine sehr große Rolle, wenn nicht sogar die Hauptrolle. Jeder muss abgeholt werden, den Weg aktiv mitzugehen.
Welche Aufgaben kommen nach Einführung/Implementierung von Industrie-4.0-Prozessen auf den IT-Berater/-Dienstleister zu?
Ich beziehe mich hier auf meine letzte Antwort: Wenn die Berater gute Arbeit geleistet haben, dann machen sie sich nach erfolgreicher Implementierung überflüssig. Die Frage für den Unternehmer muss vorher geklärt sein. Bis wohin will ich mit den Beratern gehen? Inwieweit IT-Dienstleister nach Implementierung eingebunden bleiben, hängt von dem Set-up ab. Sicherlich werden Mittelständler nicht alles IT-Know-How, und das wird dann sehr viel mehr als heute sein, „inhouse“ betreiben (wollen).
Was zeichnet einen guten IT-Berater/-Dienstleister im Bereich „Industrie 4.0/IoT“ letztlich aus? Worauf sollten Mittelständler achten, wenn sie sich entsprechende Hilfe suchen?
Auf den gesunden Menschenverstand. Und auf die Anschlussfähigkeit ans eigene Unternehmen sowie die Fähigkeit, mit dem Unternehmen und seinen Mitarbeitern gemeinsam die erforderlichen Schritte zu gehen.
Wodurch kann die Qualität von Beratungsleistungen auf jenem Gebiet abgesichert werden? Gibt es so etwas wie ein Industrie-4.0-Gütesiegel für IT-Berater/-Dienstleister?
Man sollte sich an die bisherigen, jeweils aktuellen Arbeitsstände der relevanten Gremien orientieren und Best Practices wie Cobit, Itil und Prince2 sowie nationale und internationale Richtlinien wie Sox, Basel III oder den BSI-Grundschutzkatalog berücksichtigen.