Mitte/Ende der 90er Jahre wurde ITIL ins Leben gerufen – von der britischen Regierung, um den Betrieb ihrer Informationstechnologie auf eine solide prozessuale Basis zu stellen und die Qualität der IT-Services zu verbessern (heute sieht es oft so aus, als sei in der Prä-ITIL-Ära alles unordentlich, unkontrolliert und schlecht gelaufen). Nur die Älteren unter uns erinnern sich noch an die gut dokumentierten Geschäftsprozesse von Big Blue, die in den meisten Unternehmen implementiert waren. Diese Prozesse funktionierten wunderbar und auch ohne ITIL (obwohl es damals noch so antiquierte Rollenbezeichnungen wie „Arbeitsvorbereitung“ in der IT gab – aber das nur am Rande).
Im Zuge der Entstehung von ITIL entstand auch der Prozess „Configuration Management“ – schließlich ist es ja sinnvoll zu wissen, welche IT-Ressource genau aus welchen Komponenten besteht und wie sie konfiguriert ist. (Nur für den Fall, dass sich ein Benutzer einmal mit einem Fehler – „Incident“ – beim „Service Desk“ meldet oder wenn man neue Software installieren will).
Ob sich damals jemand in der britischen Regierung Gedanken darüber gemacht hat, wie das Configuration Management auf der Seite der Techniker mit dem Asset Management (Inventarisierung und Anlagenbuchhaltung) auf der Seite der Kaufleute zusammenspielt?
Schaut man in das (mittlerweile veraltete) ITILv2-Handbuch, findet man folgende Definition:
Die Ziele des Configuration Management sind
- Alle IT-Assets und Konfigurationen innerhalb der Organisation und ihrer Services zu erfassen.
- …
- die Konfigurationsdatensätze gegen die Infrastruktur zu verifizieren und alle Ausnahmen zu korrigieren.
Ich stelle mir das bildlich vor: Der frischgebackene IT-Leiter kommt von einer ITIL-Informationsveranstaltung und weist seine Mitarbeiter an, nun endlich den Configuration-Management-Prozess zu implementieren – schließlich seien die Ziele und Aufgaben des Prozesses schon lange bekannt. Zwei Tage später findet er sich in einem Eskalationsgespräch mit dem CFO des Unternehmens wieder, der ihn freundlich, aber bestimmt darauf hinweist, dass Lagerhaltung und Anlagenbuchhaltung in seinen Verantwortungsbereich fallen und er sich auch in Zukunft jede Einmischung verbittet. Oder wolle die IT gar die ungeliebte Inventarisierung übernehmen?
Mit eingezogenem Schwanz kehrt er in sein Büro zurück und blättert im ITILv2-Handbuch eine Seite weiter:
„Given the above definition, it should be clear that Configuration Management is not synonymous with Asset Management, although the two disciplines are related. Asset Management ist ein anerkannter Buchhaltungsprozess, der die Abschreibungsbuchhaltung einschließt. Asset Management systems maintain details of assets above a certain value, their business unit and their location. Configuration Management pflegt auch Beziehungen zwischen Assets, was Asset Management normalerweise nicht tut. Some organizations start with Asset Management and move on to Configuration Management.“
Aha.
Der letzte Satz löste bei mir ein gewisses Schmunzeln aus: Der deutsche Gesetzgeber verlangt eine verpflichtende Anlagenbuchhaltung, auf der eine ganze Reihe von Geschäftsprozessen basieren. In England schien das zumindest in den 90er Jahren nicht der Fall zu sein.
Kurzum: Die ITIL-Vorgaben lassen in diesem wichtigen Prozess einiges offen und gehen an der gelebten Realität in den Unternehmen vorbei. Hier besteht aus meiner Sicht dringender Regelungsbedarf bei der Umsetzung der Prozesse im Unternehmen:
- Zusammenspiel zwischen Inventarisierung/Anlagenbuchhaltung und Configuration Management
- Abbildung der seriennummerngenauen Erfassung von Configuration Items (CIs) auf eine anlagenklassenbezogene Bestandsführung und Aktivierung.
- Synchronisation der beiden Prozesse (Zugänge, Abgänge)
- Synchronisation der organisatorischen Abbildung (Zuordnung zu Kostenstellen, Organisationseinheiten, Standorten und Personen)
- Klärung des führenden Systems (bzw. Klärung, welches der beiden Systeme – ERP und Config-DB – für welche Daten führend ist)
- Klärung der Asset-Klassen (gehört der externe BlueRay-Brenner zum Desktop-System/Asset oder ist er ein eigenes Asset?)
- und nicht zuletzt die Klärung der organisatorischen Zuständigkeiten im Unternehmen: Wer hat den Hut für die Assets auf?
Es gibt noch eine ganze Reihe weiterer zu regelnder Aspekte, an denen die Implementierung eines Config-Management-Prozesses neben den (zumindest in Deutschland) bereits bestehenden kaufmännischen Prozessen scheitern kann. Eine detaillierte Planung und eine gute Zusammenarbeit zwischen der IT-Abteilung und der Buchhaltung sowie Erfahrung mit den Stolpersteinen sind Voraussetzung für eine erfolgreiche Config-Management-Einführung.