Die nachfolgende Zusammenfassung entspricht Kapitel 2 des Abschlussberichts (Download unten). Bei dem Text handelt es sich um eine Pressemeldung unseres Kunden gematik, die Sie hier im Original nachlesen können.
Für das im Jahr 2016 im Auftrag der gematik durchgeführte Forschungsprojekt „NFDM-Sprint“ wurde ein Abschlussbericht erstellt. Der Abschlussbericht stellt aus fachlicher Sicht des NFDM-Sprint-Projektteams die Rahmenbedingungen des Projekts, wesentliche Projektergebnisse, Antworten auf die von den Gesellschaftern der gematik bei Projektbeauftragung formulierten Fragen sowie Empfehlungen dar. Die Entscheidung über den Umgang mit den Empfehlungen obliegt den Gesellschaftern der gematik.
Das Forschungsprojekt „NFDM-Sprint“ hat untersucht, ob der Prozess der Anlage von Notfalldatensätzen (NFD) und Datensätzen mit persönlichen Erklärungen (DPE) in Arztpraxen und Krankenhäusern ausreichende Akzeptanz bei anlegenden Ärzten und Praxispersonal findet und zu einer ausreichenden Qualität der angelegten NFD führt. Der Anlageprozess umfasste nicht die Nutzung von elektronischen Gesundheitskarten (eGK) und Komponenten der Telematikinfrastruktur. Zusätzlich wurden Patienten zu ihren Einstellungen und Erfahrungen mit dem Notfalldatenmanagement (NFDM) befragt. 31 niedergelassene Ärzte (25 Hausärzte, 6 Fachinternisten) sowie sieben Krankenhausärzte (Chirurgen, Internisten) legten in Arztpraxen in Münster/Westfalen und Umgebung sowie im Universitätsklinikum Münster zwischen Mai und November 2016 insgesamt 2.598 NFD und 573 DPE für 2.610 Patienten an.
Die teilnehmenden Ärzte sowie medizinischen Fachangestellten wurden zu drei Zeitpunkten vor, während und nach dem Anlagezeitraum telefonisch durch den Lehrstuhl für Gesundheitsmanagement der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) befragt. Die (pseudonymisierten) NFD wurden durch die Stabsstelle Telemedizin des Universitätsklinikums Münster (UKM) bzgl. ihrer medizinischen Inhalte und auf Echtheit überprüft. Die Befragung einer Stichprobe von ca. 1.000 Patienten ergab einen Rücklauf von 298 auswertbaren Fragebögen.
Die Untersuchung der Akzeptanz für den Anlageprozess der NFD ergab eine hohe Gesamtzufriedenheit der Ärzte im ambulanten Bereich, die sich zu über 80 % als „sehr“ oder „eher zufrieden“ äußerten. Im stationären Bereich zeigte sich nur gut die Hälfte der Ärzte als „sehr“ oder „eher zufrieden“, einer der befragten Ärzte als „sehr unzufrieden“. Hauptgründe für den Unterschied waren die problematische Datenübernahme aus dem Krankenhausinformationssystem (KIS) sowie fehlende Unterstützung durch medizinisches Assistenzpersonal im Krankenhaus. Im Gegensatz dazu wurden diese beiden Aspekte im ambulanten Bereich mit 90 % bzw. 81 % überwiegend als akzeptabel und praxistauglich bewertet, wobei auch drei der sechs beteiligten Fachinternisten Probleme bei der Datenübernahme aufgrund unvollständiger Informationen über den Patienten im eigenen Praxisverwaltungssystem (PVS) schilderten.
Überwiegend positiv, wenngleich auch als zeitaufwendig, wurden sowohl im ambulanten (77 %) als auch im stationären (100 %) Bereich die Prozesse der Aufklärung und Einwilligung der Patienten bewertet. Die Auswahl geeigneter Patienten und der medizinischen Daten für den NFD sowie deren Zuordnung zu den Eingabefeldern in den Primärsystemen stellten für keinen der Befragten ein ernsthaftes Problem dar. Die gedruckten Informationsmaterialien wurden von der Mehrheit der Befragten genutzt und als hilfreich bewertet, wobei die Ärzte nur organisatorische Hinweise nutzen, das medizinische Assistenzpersonal (MFA) zum Teil auch die medizinisch-fachlichen Erläuterungen. Am besten bewertet wurden der Support durch den PVS-Hersteller sowie die Informationsveranstaltung zu Projektbeginn. Kaum genutzt wurde die Projekt-Website.
Nahezu alle befragten Ärzte und ihr Personal schilderten einen eher hohen Zeitaufwand durch die Anlage von NFD. Dieser Zeitaufwand führte bei 34 % im ambulanten und 67 % im stationären Bereich dazu, dass Tätigkeiten außerhalb der üblichen Arbeitszeiten erledigt werden mussten. Von elf niedergelassenen (35 %) und fünf Krankenhausärzten (71 %) wurde der „Anpassungsaufwand im Praxis- bzw. Klinikalltag“ als „groß“ beschrieben. Angesichts des erwarteten Nutzens für die Patienten wurde der Zeitaufwand für die Erstanlage von NFD dennoch von lediglich 16 % der ambulanten und 14 % der stationären Ärzte als „nicht angemessen“ bewertet. Die durch das PVS ermittelte elektronische Bearbeitungszeit, in die ausschließlich die Netto-Interaktionszeit mit der Software, nicht jedoch die sonstigen Zeitaufwände bei der Anlage bzw. Aktualisierung von NFD (Ansprache und Information der Patienten über NFD und DPE, Einholung der schriftlichen Einwilligungserklärung) eingingen, betrug pro NFD durchschnittlich vier Minuten, bei 75 % der NFD lag sie unter zehn Minuten.
DPE wurden für 22 % der Patienten angelegt. Zirka die Hälfte aller Ärzte gab an, DPE aufgrund des hohen Zeitaufwands bei im Vergleich zum NFD weniger hoher Nutzenbewertung nicht oder im Verlauf nicht mehr angesprochen zu haben. Von den 31 niedergelassenen Ärzten legten zehn gar keine, weitere sechs nur bis zu maximal drei DPE an.
97,6 % der angelegten NFD enthielten nachvollziehbar notfallrelevante Informationen. Bei lediglich 2,4 % war ohne detaillierte Kenntnis des Patienten eine Aussage zur potenziellen Notfallrelevanz des Datensatzes nicht sicher möglich. Die angelegten NFD wurden zum überwiegenden Teil für ältere, multimorbide Patienten angelegt. Ein Teil der Patienten wies wenige, aber notfallrelevante Erkrankungen auf. 69 % der Patienten waren älter als 60 Jahre. Im Durchschnitt wurden für jeden Patienten sieben Diagnosen und fünf Medikamente dokumentiert. Die Untersuchung der Echtheit der Datensätze sowie der schriftlichen Einwilligungserklärungen der Patienten mittels Stichproben in einem Drittel der Arztpraxen ergab keine gravierenden Mängel.
Die Auswertung der 298 (100 %) Patientenfragebögen ergab bei 96,3 % („voll“ 81,2 %, „eher“ 15,1 %) Zustimmung zur Aussage, dass Ärzte sie zukünftig durch einen NFD „besser versorgen“ können. 69,5 % der Befragten waren älter als 60 Jahre, 53,4 % weiblich. Nahezu die Hälfte (47,3 %) gab an, schon einmal in einer Situation gewesen zu sein, in der „ein NFD hilfreich gewesen wäre“. 93,6 % empfanden die Anlage des NFD zusammen mit dem Arzt als „einfach“. Als zukünftigen Speicherort des NFD favorisierten 95,3 % die elektronische Gesundheitskarte (eGK), gefolgt von einem Ausdruck auf Papier (11,7 %) , einer Onlineversion mit „Zugang nur für Ärzte“ (11,1 %), einem Smartphone (4,4 %) sowie zu 2 % einem „anderen Speichermedium“ (Mehrfachnennungen möglich). Die sehr positive Wahrnehmung für den NFD seitens der Patienten bestätigte sich auch durch die Einschätzung aller Ärzte und MFA, die durchweg von einer hohen bis sehr hohen Zufriedenheit ihrer Patienten berichteten.
Als Fazit des NFDM-Sprints kann die Akzeptanz für den Anlageprozess von NFD im ambulanten und insbesondere im hausärztlichen Bereich als weitestgehend gegeben angesehen werden, im stationären Bereich ist sie jedoch deutlich eingeschränkt. Der von allen Befragten beschriebene hohe Zeitaufwand für die Prozesse der Aufklärung und Einwilligung der Patienten, der in der o. g. elektronischen Bearbeitungszeit nicht enthalten ist, sowie der noch mangelnde Bekanntheitsgrad des NFDM erscheinen als Hauptursachen dafür, dass insgesamt nur 63 % des vorgegeben Ziels von 125 NFD je Arztpraxis bzw. insgesamt 4.125 NFD erreicht wurden. Dabei zeigte sich ein sehr heterogenes Anlageverhalten der Arztpraxen, bei dem ein Drittel der Praxen im Durchschnitt nur 24 NFD, ein anderes Drittel jedoch 127 NFD anlegte. Die im ambulanten Bereich gemessene, vergleichsweise niedrige elektronische Bearbeitungszeit variiert hingegen weniger stark und deutet auf eine gute Nutzbarkeit des angepassten PVS hin. Die Anlage von NFD für die Patientengruppe, für die im Notfall ein hoher medizinischer Nutzen zu erwarten ist, ist mit elektronischer Unterstützung möglich und führte zu einer durchweg sehr hohen medizinisch-inhaltlichen als auch formalen Qualität der von den Ärzten angelegten NFD.
Aus fachlicher Sicht des Projektteams der gematik ergeben sich die nachfolgenden Empfehlungen. Die Entscheidung über den Umgang mit den Empfehlungen obliegt den Gesellschaftern der gematik.
- Die Erstanlage von NFD sollte schwerpunktmäßig im hausärztlichen Bereich erfolgen, da hier offenbar vollständige Angaben zu den Patienten in einer Form vorliegen, die eine vergleichsweise zügige Erstellung von NFD mit Hilfe des PVS ermöglicht. Dies scheint im fachinternistischen Bereich nicht immer gegeben zu sein, was dann häufiger zu hohen Aufwänden bei der Erstanlage führt.
- Im Krankenhaus sollte zukünftig vordringlich die Aktualisierung, nicht jedoch die Erstanlage von NFD erfolgen, da hier die benötigten Daten nicht immer vollständig in einer Form vorliegen, die eine schnelle Übernahme in den NFD bei dessen erstmaliger Erstellung ermöglicht.
- Die Einbeziehung des medizinischen Assistenzpersonals (MFA) in die Erstanlage und Aktualisierung von NFD hat positive Effekte. Sie sollte weiterhin aktiv befördert werden durch eine die Arbeitsteilung unterstützende Gestaltung der Primärsysteme, organisatorische Hinweise an die niedergelassenen Ärzte und eine noch stärkere Fokussierung der Informationsangebote auch auf diese Zielgruppe.
- Patienten – deren grundsätzlich sehr positive Wahrnehmung sich im NFDM-Sprint bestätigt hat – sollten umfassend schon vor dem Anlageprozess und nicht nur durch Arztpraxen über den NFD und DPE informiert werden. Somit können die Aufwände bei Aufklärung und Einwilligung minimiert und die Patienten als Impulsgeber für die Anlage von NFD motiviert werden.
- Der sehr spezifische Aufklärungsbedarf beim DPE führt zu zeitaufwändigen Anlageprozessen, die durch Ärzte und medizinisches Assistenzpersonal (MFA) alleine nicht geleistet werden können. Für Information und Aufklärung sowie die Anlage von DPE müssen daher alternative Möglichkeiten zur Verfügung stehen.
- Da eine gute Nutzbarkeit („Usability“) des Primärsystems die Akzeptanz für die Erstanlage und Aktualisierung maßgeblich positiv beeinflusst und gleichzeitig den Zeitanteil für Interaktionen mit der Praxis-IT auf ein praxistaugliches Maß senkt, sollte dieser erfolgskritische Aspekt wichtiger Schwerpunkt bei der flächendeckenden Implementierung des NFDM sein.
- Da weit mehr als die Hälfte Patienten, die für einen NFD in Frage kommen, auch Anspruch auf einen bundeseinheitlichen Medikationsplan (BMP) bzw. zukünftig den elektronischen Medikationsplan (eMP) haben werden, sollte der Prozess des Informationsabgleichs zwischen diesen beiden Fachanwendungen durch die Primärsysteme optimal unterstützt werden.
- Bei der Anlage von NFD sollte im Primärsystem klar erkennbar sein, dass der Eintrag von Diagnosen als Freitext ausdrücklich möglich ist und ICD-Schlüssel keine Pflichtangabe sind.
- Die Angabe über die ursprüngliche Herkunft von Daten, z. B. Diagnosen oder Medikation, die nicht vom anlegenden Arzt selbst erhoben wurden (sog. Fremdbefund), sollte zukünftig freiwillig sein, da der teilweise erhebliche Aufwand zur Beibringung dieser Information in keinem angemessenen Verhältnis zu dessen erwartetem Nutzen steht.
- Die Primärsysteme sollten ausdrücklich keine Priorisierung bestimmter Informationen (z. B. durch eine bestimmte Reihenfolge von Diagnosen oder Medikationen) bei Anlage des NFD vorsehen, da solche Priorisierungen aus medizinischer Sicht nicht immer eindeutig zu entscheiden sind und die Ärzte von diesem zeitaufwändigen Schritt bei der Anlage von NFD entlastet werden sollten.
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